MANY HANDS MAKE LIGHT WORK.

EIN INTERVIEW MIT AXEL SCHMID VON INGO MAURER.

Interview: 2030 / Paul Wagner

Ein ziemlich trüber Vormittag in München. Schwabing kann wirklich trist sein. Man sehnt sich nach – Licht. Passt ja perfekt für einen Besuch bei Ingo Maurer. Axel Schmid, Head of Product & Project Design, führt uns durch den großen, von Lichtobjekten und Leuchten erhellten Showroom. Die Lichtkreationen von Ingo Maurer stehen für Schönheit, Überraschung, Imposanz und Poesie. Aber auch für technische Innovation. Dass Axel Schmid, der bei Richard Sapper an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Produktdesign studiert hat, unmittelbar nach dem Studium Licht als das beste Material für sich entdecken würde, war alles andere als vorprogrammiert. Seine Anfangszeit bei Ingo Maurer hielt er nur für ein kurzes Intermezzo. Aber es gab gute Gründe, dort zu bleiben.

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Axel Schmid / Foto: Leopold Fiala

Axel, was für ein Gefühl ist es, wenn ein Lichtobjekt, das man erdacht und zur Marktreife gebracht hat, plötzlich im Museum of Modern Art (MoMA) in New York steht? Seit 2009 hat deine Tischlampe Jetzt dort einen Platz.

Ich war verwundert und überrascht. Wenn man in München arbeitet, hat das alles doch so einen regionalen, lokalen Charakter. Klar, wir schicken unsere Leuchten überall hin. Aber dass man von so weit weg sozusagen beobachtet und wahrgenommen wird, ist dann schon gut. Damals kam eines Tages ein Brief aus New York mit der Nachricht, dass man unbedingt eine Jetzt haben müsse. Und zwar sofort. Da ging die Serienproduktion aber gerade erst los. Wie es der Zufall wollte, hatte Monika, meine Frau, genau in jener Woche einen Termin in New York und ich hab dann schnell noch ein Exemplar zusammengebaut und ihr mitgegeben.


Perfektes Timing.

Kann man so sagen. Der Grund, warum ich die Jetzt entwickelt habe, war übrigens reiner Frust. Wenn man bei Ingo Maurer Leuchten entwirft, produziert man sie auch komplett selbst. Und das ist am Ende immer aufwändiger als man sich erhofft. Vor allem was die Arbeitszeit angeht, die in die Montage und Verpackung investiert werden muss. Da kommen hier noch mal 20 Minuten fürs Kleben dazu, da noch mal 15 Minuten fürs Papierschneiden, das summiert sich. Ich war deshalb richtig verzweifelt und dachte, das muss doch einfacher gehen, ich mach jetzt eine Lampe, die besteht aus einem einzigen Teil, das gleichzeitig Gestell und Kühlkörper ist. Da wird eine Hochvolt-LED aufgeklebt, sodass sie nur noch einen Stecker hat, kein Netzteil, und dann kann man die in zwei Minuten herstellen. Fertig. So entstand die Jetzt, wahrscheinlich eine der ersten Hochvolt-LED Leuchten überhaupt.

 
Wo steht die Marke Ingo Maurer heute?

Als Ingo nicht mehr da war, also ab 2019, wurde uns sehr bewusst, dass die Zukunft ein ganz wichtiges Thema für unsere Arbeit ist. Das Neue. Das Unbekannte. Das Wagnis. Uns wurde klar: Je älter wir als Marke werden, desto größer ist unsere Vergangenheit und desto größer ist die Gefahr, dass die Menschen nur auf diese Vergangenheit schauen. Vor ein paar Jahren sind plötzlich diese Fächerlampen Uchiwa aufgetaucht, die wir in den 70er-Jahren gemacht haben, und wurden wahnsinnig erfolgreich auf Instagram. Da wurden Lüster, die damals 700 Mark gekostet haben, plötzlich für 20.000 Euro verkauft. Da wussten wir: Auf keinen Fall dürfen wir jetzt den Fehler machen, uns nur darauf zu konzentrieren, diese Sachen aus den 70ern noch mal aufzulegen. Sonst bleiben wir stecken.

 
Aus einer wirtschaftlichen Perspektive wäre das ja eigentlich ein No Brainer. Ihr könntet ja sagen: Wir setzen voll auf unsere Klassiker. Weil der Markt es will. Könnte man doch nachvollziehen?

Ja, klar, könnte man. Dazu kommt, dass es immer ein Risiko birgt, Neues zu wagen. Es ist ja offensichtlich, dass die Firma in der Vergangenheit für viele Menschen sehr gute Arbeit abgeliefert hat. Darauf könnte man sich jetzt ausruhen. Aber die Rahmenbedingungen ändern sich. Ein Design aus den 60er-Jahren nimmt heute eine andere Rolle ein als damals. Warum sollte man zum Beispiel an alter Technik hängen, wenn es technische Innovationen gibt? Ist es nicht wichtig, auf die Weiterentwicklung von Raumkonzepten durch die Architektur zu reagieren? Müssen nicht die neuen Ansprüche an Nachhaltigkeit und Reparaturfähigkeit unserer Produkte berücksichtigt werden? Mal ganz zu schweigen von den Sicherheitsnormen, die berechtigterweise immer strenger werden. Ingo Maurer hat die besten Voraussetzungen, Innovationen voranzutreiben. So wie wir es schon immer getan haben. Würden wir uns auf den vergangenen Erfolgen ausruhen und nicht mehr das Neue, Kühne wagen, bestünde die Gefahr, dass wir nicht mehr am Kern des Lichts arbeiten. Dann kauft man Komponenten zu, dann wird man wie alle anderen. Bis man schließlich nur noch am Lampenschirm arbeitet. Wir pflegen unser Erbe, ja. Aber wir stecken unsere ganze Energie in die Zukunft, in Innovationen, in das überraschend Neue. Das ist einfach unsere DNA.

Der Prozess der Ideenfindung für neue Leuchten und Lichtobjekte – wie läuft der ab im Atelier von Ingo Maurer?

Auf jeden Fall sehr ungesteuert. Weil das Licht nicht greifbar ist und dir immer wieder entkommt, kann dieser Prozess gar nicht planvoll linear sein. Er läuft bei uns deshalb eher pragmatisch und ohne Angst vor chaotisch anmutenden Wendungen ab. Um zu erklären, was das bedeutet, mache ich immer eine Zeichnung, die zeigt, was für mich, aber vor allem auch für das Unternehmen Ingo Maurer gilt. Axel Schmid skizziert mit spitzem Bleistift in sein Leuchtturm-Skizzenbuch, während er weiterspricht. Es ist selten so, dass du gleich zu Beginn eine große und starke Vision von einer Leuchte oder einem Lichtobjekt hast und dann nur einfach geradlinig daran arbeiten musst, um wie von selbst zum fertigen Ergebnis zu kommen. Ganz im Gegenteil. Bei Ingo Maurer beginnen wir in der Regel mit ganz kleinen, unscheinbaren Ideen. Die sind noch überhaupt nicht toll, aber sie führen dich irgendwohin, wo es spannend wird. Auch dann, wenn du in einer Sackgasse landest und das Licht einfach nicht macht, was du eigentlich wolltest. Dann brauchst du die nächste Idee, um da wieder rauszukommen. Egal, wie du dann weitergehst, du kannst dir niemals sicher sein, dass der Weg, für den du dich entschieden hast tatsächlich zu einem besseren Ergebnis führt. Hier ist die Nervosität dann am größten. Am Ende zählt nur eines: Du musst auf das Licht hören und flexibel sein. Wenn dann etwas gelingt, ist es eine Riesenerleichterung. Und wenn eine Leuchte dann tatsächlich auf der Messe steht oder bei einem Kunden, ist das sehr befriedigend. Die Herausforderung ist also bei uns nie, in einem großen künstlerischen Moment einen Geistesblitz zu haben, sondern sich auf den Weg von einer kleinen Idee zum fertigen Licht einzulassen. Der kreative Prozess, der immer das Überraschende und gänzlich Ungeplante zulässt, ist das große Thema bei Ingo Maurer.


Wie bei allen Designern ist dein Alltag als Lichtdesigner bestimmt durch Timingvorgaben, Budgets, Lieferziele, Projektkoordination. Empfindest du dich als Künstler, der im Korsett ökonomischer Sachzwänge steckt?

Nein, ganz bestimmt nicht. Wir werden durch diese Themen nicht gebremst, sie gehören zum Designerberuf einfach dazu. Klar haben wir in bestimmten Momenten eine ähnliche Herangehensweise wie ein Künstler oder eine Künstlerin, aber unser Beruf ist ganz anders definiert. Dass man mit hard facts kämpfen muss, gehört zur Jobdescription des Gestalters einfach dazu. Wer glaubt, dass eine gute Inspiration ausreicht, um ein guter Designer oder eine gute Designerin zu sein, würde man vieles verkennen, was uns bei Ingo Maurer zu dem macht, was wir sind: Wir haben die Fähigkeit, im Team zu arbeiten, das Talent, sich mit Experten aller Art auszutauschen, Timings und Budgets einzuhalten und natürlich Kunden zu begeistern. Dazu gehört auch, sich darüber bewusst zu sein, dass der kreative Prozess, über den wir gesprochen haben, bezahlt werden muss. Und zwar lange bevor das Ergebnis auf dem Markt ist.


Didaktisches Talent ist sicher auch hilfreich, wenn es darum geht, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Ganz sicher. Aber auch das Zeichnen hilft. Ich habe an der Hochschule für Gestaltung (HFG) in Karlsruhe einen Kurs gegeben, der hatten den Titel „Zeichnen als Werkzeug“. Ich glaube, als Designer muss man aus zwei Gründen zeichnen können. Erst mal, damit du für dich selbst Dinge erarbeiten und klären kannst. Aber dann auch, um anderen etwas erklären zu können. Einem Kunden, einem Zulieferer, dem Team. Das, was nicht allein in Worte zu fassen ist, sollte man in Worte und Bilder fassen können. Mit einer guten Zeichnung kannst du dein Gegenüber überzeugen.


Da muss man doch gleich an Ingos Serviettenskizzen denken …

(Lacht) Ja, genau.


Wie siehst du digitale Tools?

Andere beherrschen dieses visuelle Erklären mit anderen Mitteln. Meiner Meinung nach kann das Werkzeug dafür auch ein Computer sein. Ich bin da nicht dogmatisch. Zeichnen ist halt wahnsinnig schnell, einfach und universell. Man muss nicht mal brillant zeichnen können, auch jemand, der geradezu schlecht zeichnet, kann sich so ausdrücken und eine andere Person für sich gewinnen. Zeichnen ist auch ein Mittel, um im Gespräch, vor allem mit Kunden, Vertrauen zu schaffen. Klar kann man Licht zeichnerisch nicht erschöpfend darstellen, aber dafür Geometrien, Vorgänge, Varianten, Richtungen. Das ist unglaublich wertvoll in der Abstimmung. Wir beginnen übrigens ganz früh mit dem Bau von Prototypen oder Modellen in unserer Werkstatt. Dann kann sich der Kunde das im Raum anschauen und die von uns geplante Lichtwirkung nachvollziehen. Da kann man auch mal mit einer Taschenlampe in Öffnungen leuchten oder mit LEDs arbeiten. Wir haben bemerkt, dass die Leute, wenn es um Licht geht, viel positiver auf echte Modelle reagieren als auf digitale Erfahrungen. Wir hatten auch schon Präsentationen mit VR-Brillen. Das ist dann halt nicht echt. Klar könnte man sagen, das ist Attitüde von diesen Ingo-Maurer-Leuten. Aber die Erfahrung spricht eine klare Sprache.

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Was macht Ingo Maurer noch besonders? 

Ich glaube, das Interessante bei Ingo Maurer ist, dass wir eine Firma sind, die vom kreativen Prozess bis zur finalen Umsetzung und Produktion alles im eigenen Haus hat. Das ist ein elementarer Teil von uns. Einfach weil mit Ingo jemand da war, der seine Ideen selbst produzieren und vermarkten wollte und das auch tat.

 
Licht bestimmt sehr stark die Art, wie wir die Welt wahrnehmen. Ist das für dich eine Motivation, mit Licht zu arbeiten?

Ja, Licht ist eines der besten Materialien. Das zu wissen, versöhnt mich damit, dass ich mir daran die Zähne ausbeiße.


Wie kamst du überhaupt dazu, mit Licht zu arbeiten?

Ich habe in Stuttgart Produktdesign bei Richard Sapper studiert, da hat das Licht bis auf ein paar kleinere Projekte keine große Rolle gespielt. Dass ich dann 1998 bei Ingo Maurer angefangen habe, war gar nicht mein Plan. Eigentlich wollte ich zu Konstantin Grcic, der hatte damals aber keine Stelle anzubieten. Weil Ingo den Richard Sapper für ein Semester vertreten hatte, kannte ich ihn und rutschte schließlich mehr oder weniger bei ihm rein. Anfangs dachte ich, na gut, machst du das halt für ein halbes Jahr, denn hier geht’s ja „nur“ um Licht. Damals habe ich die Lampe lediglich als ein Objekt innerhalb anderer Wohnobjekte gesehen, nur als eines von vielen, vielen Themen gestalterischen Arbeitens. Während meiner Anfangszeit bei Ingo Maurer habe ich dann gemerkt, dass die Abwechslung, die ich mir bei den Gestaltungsthemen gewünscht habe, plötzlich in meinem Alltag da war. An der Maschine in der Werkstatt, am Besprechungstisch mit Kunden, in einem Ausstellungsraum mit Zuhörern. Da hab ich gemerkt: Hier besteht die Möglichkeit, sehr universell zu arbeiten. Das hatte erst mal nichts mit Licht zu tun, sondern damit, dass diese Firma hier im Kleinen versucht hat, wirklich alles selbst zu machen. Und weil diese Firma so „komisch“ war, hatte sie auch diese Narrenfreiheit, alles genau so anzugehen.


Diese besondere kleine Firma mit ihrer Wir-machen-alles-selbst-Kultur hat dich dann so für sich eingenommen, dass aus den sechs Monaten …

… über 25 Jahre wurden. Genau! Ich bin, aus welchen Gründen auch immer, so gepolt, dass ich die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, auch zu einem Ziel führen will. In dieser Firma hat sich die Möglichkeit dazu ergeben. Fasziniert hat mich auch die Freiheit, Kunden von etwas zu überzeugen, das es so bis dahin noch nicht gab. Der Ansporn von Ingo Maurer ist es von Anfang an gewesen, Grenzen zu verschieben und dahin zu kommen, wo noch keiner war. Vom Denken her und vom Tun.


Was für ein Gefühl ist es für einen Lichtgestalter, einen Hit zu landen?

Natürlich ein sehr gutes. Ein recht aktuelles Beispiel ist unsere Installation an der Porta Nuova im Rahmen des Salone di Mobile in Mailand im letzten Jahr. Sie befand sich auf einer Verkehrsinsel und das Publikum waren eben nicht nur Besucher des Salone, sondern auch ganz normale Passanten. Dann siehst du einen Mailänder, der mit seinem Hund vorbeikommt und völlig überrascht und staunend stehen bleibt. Diese Verwunderung im Gesicht zu sehen, war einzigartig schön.

 
Kannst du die Installation „Light – Floating Reflection” etwas näher beschreiben?

Der Ausgangspunkt war ein ehemaliges Stadttor mit zwei niedrigen Gebäuden rechts und links. Der Torbogen war großartig, wir wussten sofort, dass da etwas Außergewöhnliches rein muss. Eine Installation, nicht einfach nur ein Ingo-Maurer-Logobanner. Die Montagevorgaben für die Installation waren sehr streng, wegen des Denkmalschutzes. Also überlegten wir, wie wir etwas mit möglichst geringer Last in den Luftraum bekommen, das mit Licht und mit Ingo Maurer zu tun hat und auch bei Tageslicht funktioniert. Man kann ja nicht gegen die Sonne arbeiten. Auf dem Boden des Torbogens platzierten wir einen 30 Meter langen, in fluoreszierenden Farben bemalten Laufsteg und darüber filigrane Fischernetze mit über 15 000 Folienfähnchen, die sich im Wind bewegten. Sie reflektierten je nach Winkel die Farben und machten dazu noch ein wunderschönes raschelndes Geräusch. Die Leute waren begeistert. Ein Mann fotografierte seinen Pudel immer wieder auf einer anderen Farbfläche, jemand fuhr mit Rollerblades zwischen den Farben am Boden und unter den Netzen entlang und machte Pirouetten. Das war einfach schön zu sehen. Die Installation hatte eine zweifache Wirkung auf die Menschen. Der unmittelbare Effekt war, dass sie sie überraschte und dazu brachte, anzuhalten. Aber dabei blieb es nicht. Sie begannen, sich mit der Installation auseinanderzusetzen: Sie wechselten die Perspektive, bewegten sich in ihr. Man sah, dass sie über sie nachdachten und mit ihr spielten. So etwas geschieht, wenn man im öffentlichen Raum Dinge geschehen lässt, die keinen vordergründigen Zweck haben. Die Menschen denken dann darüber nach, warum das eigentlich da ist. Tausende Menschen haben die Installation besucht.


Wird es gelingen, das Ephemere, Heilige oder wie auch immer eine solche Installation bezeichnet wird, in Serienprodukte zu überführen?

Das ist nicht einfach. Bei Designprodukten spielt stark mit hinein, dass sie eine Funktion erfüllen, eine Dienstleistung erbringen und einer Erwartung gerecht werden müssen. Auf einem Stuhl muss ich sitzen können. Ein Schrank muss befüllbar sein. Eine Leuchte muss mir Licht spenden. Bei allen technischen Parametern, die ich für das Licht einer Lampe in einem Katalog nennen kann, ist klar: Die Leute empfinden es erst, wenn sie es sehen, erkunden, wenn sie die Hand ins Licht halten. Und dann stellt sich auch die Frage: Lebt man gut zusammen?


Mit euren wunderbaren Leuchten ganz sicher. Danke für das Gespräch.

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