SAY HI TO AI.

EIN INTERVIEW MIT KLAUS SCHWAB.

Interview: 2030 / Paul Wagner
Fotos: Leopold Fiala

Im schwarzen Konferenzraum des House of Hype macht Klaus Schwab von der Strategieberatung bemorrow es sich bei Croissant und Kaffee gemütlich. Ich habe Klaus bei den argonauten kennengelernt, wo wir gemeinsam um den Digitaletat von MTV pitchten und unglaublich viel Spaß hatten. Klaus’ Businessweg ist beeindruckend: Er war als Geschäftsführer für die strategischen Services der argonauten verantwortlich, fusionierte später seine eigene Strategieberatung comrepublic mit dem Strategiedickschiff diffferent, wurde dort dritter Partner im Managementteam, gründete mit bemorrow eine zweite Strategieberatung und war von 2016 bis 2020 Co-CEO der Plan.Net Gruppe für digitale Kommunikation, der größten Digitalagentur in Deutschland. Heute berät Klaus mit seinem Team Unternehmen zu Themen wie digitaler Markenführung, Strategieentwicklung und Transformation – kollaborativ, partizipativ und gern auch mal brutally honest.

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Klaus Schwab / Foto: Leopold Fiala

Klaus, vor ein paar Jahren hast du einen viel beachteten und mit einem Preis für Wissenschaftskommunikation ausgezeichneten Essay geschrieben zur Frage: Können Algorithmen Kampagnen? Wie stehst du heute dazu?

Es hat sich seit 2019 unfassbar viel verändert. Was mich damals interessiert hat, war, inwieweit KI tatsächlich Kreativität kann. Dazu habe ich mich mit den Machern von Birds on Mars in Berlin ausgetauscht, einer sehr spannenden Company, die Künstliche-Intelligenz-Produkte entwickelt. Die haben damals etwas in die Welt gebracht, das mich total beeindruckt hat, nämlich die Digitale Muse. Und sie nannten das Inspirational AI. Florian Dohmann, Mitgründer von Birds on Mars, hatte für den Künstler Roman Lipski ein Machine Learning System namens AIR entwickelt, das die Bilder von Lipski analysierte, dekonstruierte und dann wieder neu zusammensetzte. Diese neuen Bilder wurden für Lipski zur Inspiration für weitere handgemalte Bilder. Es entstand ein Ideen- und Inspirations-Ping Pong zwischen Künstler und Künstlicher Intelligenz. Lipski sagte damals, seine Kunst habe sich mit der Digitalen Muse in nur einem Jahr stärker weiterentwickelt als die zehn Jahre davor. Seine Kunst hat damals auch Google CEO Sundar Pichai begeistert, als sie das Projekt im Rahmen der Eröffnung des Google Büros in Berlin vorstellen durften. Und anscheinend hängt ein Lipski bei Pichai im Office.


Was hast du aus dem Austausch mit den Leuten von Birds on Mars für dich mitgenommen?

Ich fand das Thema Digitale Muse so interessant, dass ich zusammen mit meinem damaligen Kollegen Simon Walter zu recherchieren und analysieren begonnen habe, inwieweit KI fähig ist oder sein wird, ganze Werbekampagnen zu entwickeln. Damals wurde das noch total kontrovers diskutiert, mittlerweile sind wir von der Dynamik der Entwicklung völlig überholt worden. Heute muss man klar sagen: Natürlich kann KI Kampagnen. Sie kann unheimlich kreativ sein.

 
Was war die These eures Essays?

Damals haben wir versucht, die Rollen, die KI im Kreativprozess einnehmen kann, zu strukturieren. Wir kamen auf fünf Rollen: Muse, Schöpfer, Werkzeug, Assistent und Wächter. So kann die KI beispielsweise bei Adaptionen Wächter über das Corporate Design sein und somit Brand Governance Aufgaben übernehmen. Heute ist weniger die Frage, ob sie etwas kann oder nicht kann. Und da ich überzeugt bin, dass wir in Zusammenhang mit der KI nicht in „oder“, sondern in „und“ denken müssen – also Mensch und Maschine –, ist entscheidend, wer das Kreativinstrument KI bedient. Entscheidend für die Qualität des kreativen Outputs einer KI ist die Kreativkompetenz desjenigen oder derjenigen, der sie bedient. Topkreative werden mit der KI immer bessere Kampagnen konzipieren und umsetzen. Ganz klar.

 
Siehst du aktuell schon Agenturen, die KI – jenseits von kleineren Tools – in ihren kreativen Workflow integriert haben?

Alle behaupten, sie wären schon so weit. Ich bin mir da nicht sicher. Aber definitiv investieren alle massiv in diesen Bereich. Sicher nicht zum Spaß. Ich kann allen im Bereich Kommunikation empfehlen, sich mit KI vertraut zu machen, mit ihr zu experimentieren, zu spielen und dabei zu lernen, sie als Instrument zu nutzen. Die Kombination aus der Kreativkompetenz der bestehenden Agenturen plus KI-Kompetenz macht neue Wege auf. Jetzt kommt das Aber: Die Vorstellung, dass jetzt massenweise rein KI-basierte Kommunikationsagenturen aufmachen, die dann für ganz schmales Budget unglaublich tolle Kampagnen machen, halte ich – zumindest noch – für realitätsfremd. Es braucht immer talentierte hoch qualifizierte Kreative, die die richtigen Fragen stellen. Das sind Leute, die wissen, wie man KI-Input zu schlagkräftigen Ideen und durchgängigen Konzepten weiterentwickelt.

Das zu hören, entspannt jetzt alle Kreativen sofort.

Nicht alle Kreativen, aber alle Topkreativen … 

Klaus Schwab und Paul Wagner/Foto: Leopold Fiala

Die ganze KI-Thematik scheint mir im Moment eine Kernfrage zu überdecken, die sich alle Unternehmen jeden Tag neu beantworten müssen: Um was geht es uns eigentlich in der Kommunikation?

Kommunikation ist, besonders im allumfassenden Raum des Digitalen, viel zu oft ein Tun dessen, was technisch möglich ist, ohne darüber nachzudenken, ob das auch das ist, was uns allen weiterhilft. Die Frage, mit der wir bei bemorrow unsere Kunden immer wieder challengen ist: Dient das, was wir tun, den Menschen? Hat das einen Wert für sie? Bringt uns das als Gesellschaft oder als Individuum voran? Ich würde sehr bezweifeln, dass diese Fragen beim aktuellen KI-Hype intensiv genug gestellt werden.


Die Grundidee einer vernetzten Welt des ursprünglichen Internets war ja ganz weit weg von der extremen Kommerzialisierung des heutigen digitalen Raums.

Ja. Das WorldWideWeb wurde ja Anfang der Neunzigerjahre von Tim Berners-Lee am CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) als Tool entwickelt, um die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt zu vereinfachen. Und damit auch die Exploration von Wissen zu erleichtern. Das war schon sehr menschenzentriert und idealistisch gedacht. In den Anfängen des Internets ging es wirklich um das, was wir heute social nennen, nämlich Menschen und Ideen zusammenzubringen und den Austausch von Wissen und Ideen zu fördern. Es war revolutionär, dass jeder Content produzieren und teilen konnte. Man dachte, wow, das Internet demokratisiert alles. Und tatsächlich war auch alles richtig gut, bis zu dem Moment, wo Gewinnmaximierung und Profitgier im Web übermächtig wurden und entsprechende rein renditezentrierte Geschäftsmodelle entstanden. In den letzten 15 Jahren waren alle von Startups fasziniert – oder fast schon besessen –, mit denen man möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen konnte. Da wurden viel zu oft die Falschen auf den Sockel gestellt. Und da sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Wofür wollen wir KI nutzen? Wir haben eine machtvolle Technologie, wir haben ein starkes Instrument – und was machen wir als Gesellschaft, als Staat, als Menschheit jetzt damit? Unser Ansatz bei bemorrow ist es, auch beim Thema KI, mit unseren Kunden Antworten auf drei einfache Fragen zu finden: Welche Bedürfnisse haben die Menschen? Welche Herausforderungen gibt es? Und wie kann uns Digitalisierung dabei helfen, diese Herausforderungen zu lösen und besser zu leben?


Wie geht es dir mit Begriffen wie Konsumenten, Zielgruppen, Endverbraucher?

Sie sind natürlich hilfreich als Fachtermini. Aber sie lösen auch unangenehme Gefühle in mir aus. Wenn wir für Marken und Unternehmen arbeiten, geht es für mich immer um – Menschen. Auf der einen Seite die Kunden, die Marken ansprechen wollen, auf der anderen Seite deren Mitarbeiter. Wenn du erfolgreich sein willst, musst du dich intensiv mit den Menschen auseinandersetzen und ein kundenzentriertes Mindset aufbauen.

 
Da wirst du mit einer unglaublichen Bandbreite an Werten, Wünschen, Vorstellungen, Gefühlen konfrontiert. Wie gehen eure Kunden damit um?

Wir helfen unseren Kunden, erst einmal klar zu artikulieren, wer sie selbst sind. Unternehmen können kommunikativ enorme Kraft entwickeln, wenn sie Klarheit über ihre Identität haben. Wer bin ich? Was zeichnet mich aus? Was macht mich besonders? Dann kannst du, im zweiten Schritt, die richtigen Leute auf dich aufmerksam machen und sie als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewinnen. Um dann im dritten Schritt erfolgreich am Markt agieren zu können. Mit Angeboten, die relevant für die Menschen sind. Egal ob es Information, Service, Produkt oder Erlebnis ist. Es macht aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn, wenn sich ein Unternehmen verbiegt, nur um krampfhaft möglichst viele zu erreichen. Dann hat man Beliebigkeit und keine Relevanz. Je mehr detailliertes Wissen zu den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden und Kundinnen verfügbar ist, um so präziser kann die Ansprache sein. Hier spielen Insights durch Daten und Fakten eine wichtige Rolle. Wir haben übrigens kürzlich 45 Führungskräfte zum Thema Kundenzentrierung befragt und konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen erarbeitet. Kann man auf unserer Website downloaden.

 
Du könntest ja auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fragen: Wer wollen wir als Unternehmen sein?

Das ist aber sicher nicht die Aufgabe der Mitarbeitenden. Sondern eine Führungsaufgabe. Ein Leader ist ja deshalb ein Leader, weil er oder sie weiß, wohin sie mit ihrer Marke oder mit ihrem Unternehmen will. Wenn erst mal die Unternehmensidentität und dann die Vision klar definiert sind, kommt Klarheit und innere Reibungen und Konflikte werden aufgelöst. Dann entsteht ein enormes Momentum, das aus Firmen richtig starke Player am Markt macht.

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Noch vor Kurzem drehte sich in der Businesswelt alles um den Begriff der Disruption. Jetzt drängt der Begriff Transformation nach vorne. Welche Herausforderungen bringt das für dich als Strategieberater mit sich?

Ich durfte häufig für die großen Automobilhersteller arbeiten. Da wurden sehr langfristige statische Ziele mit einem Timing über einen unglaublichen Zeitraum von mehreren Jahren gesetzt. Ich glaube, diese Zeiten sind vorbei. Die Welt verändert sich viel zu schnell. Deshalb müssen wir alle heute vor allem veränderungsbereit sein. Veränderung ist das neue Normal. Mir fällt kein Unternehmen ein, von dem ich nicht sagen würde: Ihr müsst flexibler werden, anpassungsfähiger, wendiger. Als es losging mit der digitalen Transformation dachte man, ok, jetzt verändern wir uns ein Mal und stellen uns neu digital auf und das wars dann mit der Transformation. Heute wissen wir, dass die Veränderung selbst als Teil des Unternehmenskerns integriert werden muss, als fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Transformation ist niemals etwas Abgeschlossenes. Damit muss sich jede Marke, jedes Unternehmen auseinandersetzen. Jetzt muss natürlich Heraklit zitiert werden mit seinem Nichts ist so beständig wie der Wandel.

 
Veränderung kann ja eine positive Kraft sein, die es uns allen ermöglicht zu wachsen. In der Gesellschaft, in den Unternehmen. 

Im Prinzip ja. Man muss nur im Vorfeld einer Transformation so etwas wie eine Veränderungskompetenz aufgebaut haben. Seien wir ehrlich, die meisten Menschen tun sich schwer mit Veränderung. Sie wollen genau wissen, wo sie stehen. Das ist mein Arbeitsplatz, das sind meine Kollegen, das sind meine Abläufe. Bei diesem Mindset ist es eine große Herausforderung, permanente Veränderung zu akzeptieren.


Es gibt nicht wenige, vor allem mittelständische Unternehmen, die beim Begriff Strategie – sei es als Transformationsstrategie oder Markenstrategie – sehr schnell dicht machen. Wie erklärst du dir das?

Ich kann diese Reaktion absolut nachvollziehen. In meiner Wahrnehmung wird Strategie sehr oft überhöht und verkompliziert. Aus meiner Sicht geht es „nur“ darum, ein klares Zielbild zu definieren und einen Plan zu entwickeln, wie man dies unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und der verfügbaren Ressourcen erreicht. Das Entscheidende bei der Strategiearbeit ist, wie sie getan wird. Wir werden bei bemorrow sehr schnell konkret und bringen das Theoretisch-Strategische über Prototypen und Iterationen mit der Realität in Kontakt. Es ist wichtig, in kurzer Zeit ein erstes konkretes Ergebnis zu haben, das dann erprobt und iteriert wird. Dazu kommt ein kollaborativ-partizipativer Ansatz, der es möglich macht, viele verschiedene Expertisen an einen Tisch zu bekommen und Betroffene zu Beteiligten zu machen. Das hilft, Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu bearbeiten. Strategie muss implementierungsfähig sein. Wir achten deshalb sehr darauf, dass wir Strategien für Unternehmen entwickeln, die sie dann auch umsetzen können. Sonst ist die Gefahr sehr groß, dass man sich intensiv mit sich selbst beschäftigt, viele Ressourcen verbraucht und keine Resultate erzielt.


 Klaus, vielen Dank für deine Zeit!

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Roland Heiler

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Patrick Muff

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